Datum: 4 November 2011
Mit der Entscheidung „Webseitenanzeige" (X ZR 121/09) hatte der BGH eine weitere Gelegenheit, über die Patentierbarkeit computerimplementierter Erfindung zu urteilen. Die Entscheidung ist eine große Enttäuschung und im Widerspruch zur Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts.
Mit dem vorliegenden Urteil bestätigte der BGH eine Entscheidung des Bundespatentgerichtes, das Patent DE 10118595 für nichtig zu erklären. Die Erfindung bezog sich auf ein Verfahren zur Erzeugung einer grafischen Darstellung von bereits besuchten Webseiten, um es dem Nutzer zu ermöglichen, eine bereits besuchte Webseite ohne wiederholtes Anklicken der „Zurück-Taste" im Web-Browser erneut anzuwählen. Die Erzeugung der grafischen Darstellung wurde dabei nicht durch den Client (Browser), sondern den Server durchgeführt.
Der BGH wandte den in „Dynamische Dokumentengenerierung" (Xa ZB 20/08) eingeführten zweistufigen Test an, um die Patentfähigkeit der Erfindung festzustellen. Danach muss geprüft werden, ob (i) die Erfindung eine technische Erfindung ist, und (ii) ob die Erfindung kein Computerprogramm „als solches" darstellt und deshalb nicht vom Patentschutz gemäß §1 Absatz 3 Nr. 3 PatG ausgeschlossen ist.
In Schritt (i) kam der BGH zum Schluss, dass die erforderliche Technizität bereits wegen der vorhandenen „typische[n] Schritte der Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Daten" zu bejahen sei.
Dies entspricht der Praxis des Europäischen Patentamtes, wonach der das allgemeine Technizitätserfordernis für die meisten computerimplementierten Erfindung inzwischen keine ernsthafte Hürde mehr darstellt und allenfalls eine Frage der Formulierung der Ansprüche ist.
Schritt (ii) erfordert die Beantwortung von zwei Fragen, nämlich ob (a) die Erfindung der Lösung eines konkreten technischen Problems dient, und (b) die Lösung durch den Einsatz technischer Mittel erfolgt. Technische Mittel zur Lösung eines technischen Problems können vorliegen, wenn:
• Gerätekomponenten modifiziert oder grundsätzlich abweichend adressiert werden,
• das eingesetzte Programm durch technische Gegebenheiten außerhalb des Computersystems bestimmt wird, oder
• das Programm auf die technischen Gegebenheiten des Computersystems Rücksicht nimmt.
Diese Beispiele stammen aus der genannten Entscheidung „Dynamische Dokumentengenerierung". Allerdings wird in der vorliegenden Entscheidung zum ersten Mal der Eindruck vermittelt, als seien diese Beispiele abschließend.
Obwohl Schritt (ii) der deutschen Rechtsprechung entstammt, standen die bisherigen Ergebnisse dieser Vorgehensweise mehr oder weniger im Einklang mit der Spruchpraxis des Europäischen Patentamtes: Gemäß der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA werden bei der Prüfung von „erfinderischer Tätigkeit" nur solche Merkmale berücksichtigt, die einen technischen Beitrag leisten (siehe z.B. die Entscheidungen T0424/03 and T0154/04).
Nicht so in diesem Fall. In der vorliegenden BGH-Entscheidung werden die Merkmale der Erfindung z.T. isoliert betrachtet und mit der Begründung, sie seien bekannt oder stellten „nur eine Maßnahme der Datenverarbeitung dar" als nicht-technisch zurückgewiesen. Eine Zusammenwirkung der einzelnen Komponenten und womöglich sich daraus ergebende technische Wirkungen bleiben unberücksichtigt. Beispielsweise wird die Verlagerung von bestimmten Rechenschritten vom Client zum Server mit folgenden Worten abgetan:
„Soweit die Registrierung [...] nur noch auf dem Server erfolgen soll, kann dahingestellt bleiben, ob dies den Vorzug hat, den Einsatz schlichterer Client-Hardware zu ermöglichen, oder ob mit dieser vorgeschlagenen Verlagerung nur eine zu vernachlässigende Entlastung der Client-Hardware einhergeht. Der Gehalt dieses Schritts erschöpft sich jedenfalls darin, bestimmte Operationen der Datenverarbeitung vom Client-Rechner auf den Server zu verlagern. Das ist nicht mehr als eine äußerlich-organisatorische Umverlagerung der Datenverarbeitung zwischen mehreren Netzwerkkomponenten. Selbst wenn diese mittelbar ermöglichen sollte, einfacher ausgestattete Computer einzusetzen, wäre darin nur eine Maßnahme der Datenverarbeitung zu sehen und nicht die Lösung eines konkreten technischen Problems."
Der BGH scheint damit zu sagen, dass „Datenverarbeitung" also solche nicht-technisch sei und deshalb keine Lösung eines konkreten technischen Problems darstellen kann. Dies ist eine Umkehrung der bisherigen BGH-Rechtsprechung, wonach Datenverarbeitung durchaus technischen Charakter haben kann, nämlich dann, wenn sie zur Lösung eines konkreten technischen Problems dient.
Jedenfalls übersieht der BGH, dass die Zuordnung von Arbeitsschritten zu verschiedenen Komponenten gerade in der Datenverarbeitung ein wichtige Überlegung darstellt, die in den meisten Fällen die Lösung eines konkreten technischen Problems widerspiegelt - z.B. dem Wunsch, auf Client-Seite einfacher ausgestattete Computer einsetzen zu können, was im Zeitalter immer kleiner und billiger werdender mobiler Handgeräte eine enorme Bedeutung haben kann. Die Zuordnung von Arbeitsschritten zu bestimmten Komponenten entspricht zudem einem der oben genannten Beispiele von „technischen Mitteln zur Lösung eines technischen Problems", nämlich der Berücksichtigung der Gegebenheiten des Computersystems. Es erscheint nahezu unumgänglich, diese bei der Zuordnung von Arbeitsschritten zu einzelnen Komponenten zu berücksichtigen, z.B. in Form der Rechenleistung der einzelnen Komponenten, der verfügbaren Bandbreite zur Übertragung von Daten zwischen den Komponenten, usw.
Natürlich steht die Frage, ob eine solche Zuordnung eine erfinderische Tätigkeit erfordert, auf einem anderen Blatt. Der BGH hat diese Frage jedoch gar nicht untersucht.
Doch damit nicht genug: Der BGH wies darüber hinaus die Argumentation der Pateninhaberin zurück, wonach das Auf- und Wiederfinden von bestimmten Webseiten im Internet weder trivial noch nicht-technisch sei. Dazu führte der BGH Folgendes aus:
„Dabei kann dahingestellt bleiben, ob das bloße Auf- oder Wiederfinden einer bestimmten Informationsseite im Internet als ein konkretes technisches Problem angesehen werden kann. Die Leistung des Verfahrens besteht lediglich in der Erfassung, Speicherung und Aufbereitung der diesbezüglichen Rechneroperarationen des Benutzers mit üblichen datentechnischen Verfahrensschritten, was die Patentfähigkeit im Hinblick auf § 1 Abs. 3 Nr. 3 PatG [Patentierungsauschluss von Computerprogrammen als solchen] jedenfalls nicht begründen kann." (Hinweis in Klammern hinzugefügt)
Es ist unverständlich, warum der BGH erst die „typische[n] Schritte der Verarbeitung, Speicherung und Übermittlung von Daten" für ausreichend erhält, um der Erfindung einen technischen Charakter zu verleihen, um die selben Merkmale anschließend im Zusammenhang mit dem Patentierungsausschluss von Computerprogrammen als solchen als nicht-technisch zu verwerfen. Überhaupt scheint der BGH mit dem Begriff „übliche datentechnische Verfahrensschritte" das Vorliegen von (üblichen) technischen Merkmalen anzuerkennen.
Warum der BGH diese Merkmale nicht einfach hinsichtlich erfinderischer Tätigkeit geprüft (und verworfen) hat - wie beispielsweise in analoger Weise in seiner früheren Entscheidung „Wiedergabe topografischer Informationen" X ZR 47/07 geschehen - ist nicht nachvollziehbar. Jedenfalls hat das Europäische Patentamt diesen Ansatz gewählt: Im ersten Prüfungsbescheid zu der entsprechenden europäischen Patentanmeldung EP1246078 wird mangelnde erfinderische Tätigkeit beanstandet, nicht jedoch das Vorliegen eines nicht-technischen Computerprogramms als solchen.
Gegen Ende der Begründung lässt der BGH noch folgende Bemerkung fallen:
„Dass das Verfahren den Dialog zwischen Benutzer und Server vorteilhaft gestalten kann, liegt schon nicht auf technischem Gebiet."
Auch diese Aussage ist in ihrer Pauschalität nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Patentamtes in Einklang zu bringen. Dazu sei beispielsweise auf die Entscheidung T0643/00 verwiesen:
„Eine Anordnung von Menuelementen (oder Bildern) auf einem Bildschirm kann durch technische Überlegungen bestimmt sein. Solche technischen Überlegungen können darauf abzielen, den Benutzer die Verwaltung einer technischen Aufgabe, wie z.B. dem Suchen und Abrufen von auf einer Bildverarbeitungsvorrichtung gespeicherten Bildern, effizienter oder schneller durchführen zu lassen, selbst wenn dies eine Verarbeitung durch den Benutzer auf geistiger Ebene umfasst." (Leitsatz).
Ganz offensichtlich beißt sich dieser Ansatz mit der vorliegenden Entscheidung des BGH.
Es bleibt zu hoffen, dass der BGH die nächste Gelegenheit nutzen wird, um Schadensbegrenzung zu leisten und zu den sinnvolleren Überlegungen der Vorentscheidungen (insbesondere „Wiedergabe topografischer Informationen") zurückzukehren. Bis auf Weiteres müssen wir unseren Mandanten jedoch empfehlen, Patentanmeldungen für computerimplementierte Erfindungen eher beim Europäischen Patentamt als beim Deutschen Patent- und Markenamt einzureichen.