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Anmerkungen

„Steckverbinder“ – sind die hohen Anforderungen für Patente für Einstweilige Verfügungen gegen Verletzer gerechtfertigt?

Datum: 3 März 2021

In Deutschland werden Verletzungsverfahren und Nichtigkeitsverfahren bei Patenten grundsätzlich unabhängig voneinander geführt. Man spricht vom Trennungsprinzip hinsichtlich der Verfahren: Verletzungsverfahren vor den Landgerichten und in zweiter Instanz vor Oberlandesgerichten, Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht und in zweiter Instanz vor dem Bundesgerichtshof.

 

Aufgrund der Dauer dieser Verfahren, die sich über 3 bis 5 Jahre hinziehen können, stellt die Möglichkeit für Patentinhaber, auf dem normalen gerichtlichen Weg gegen Patentverletzer vorzugehen, eine Geduldsprobe dar.

 

Abhilfe bieten einstweilige Verfügungen, die es ermöglichen, binnen sehr kurzer Zeit (einige Tage bis Wochen) einstweilige Unterlassungsansprüche gegen einen Verletzer geltend zu machen. Diese werden zwar in der Regel im anschließenden Hauptsacheverfahren überprüft und haben somit zunächst nur vorläufigen Charakter. Doch bieten sie eine rasche Möglichkeit, Dritten die weitere Verletzung eines Patentes zu untersagen.

 

Die meisten Patentverletzungsgerichte in Deutschland setzen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung neben der Begründetheit der geltend gemachten Ansprüche durch das geltend gemachte Patent zusätzlich voraus, dass das Patent ein Nichtigkeits- oder Einspruchsverfahren im geltend gemachten Schutzumfang überstanden haben muss. Mit anderen Worten: Obwohl es sich um erteiltes Patent handelt, das bereits ein Prüfungsverfahren vor dem DPMA oder dem EPA durchlaufen hat, muss der Patentinhaber vor dem Verletzungsgericht erst noch in einem weiteren amtlichen (Einspruch) oder gerichtlichen (Nichtigkeitsklage) Verfahren die Rechtsbeständigkeit des Patent nachweisen. Das Erteilungsverfahren wird von den meisten Gerichten nicht als ausreichender Nachweis für die Rechtsbeständigkeit angesehen. Ein Zeitgewinn wäre so für einen Patentinhaber kaum zu erreichen, da erst ein Einspruchs- und/oder Nichtigkeitsverfahren überstanden werden müsste.

 

Diese Situation empfand das Landgericht München I als unbefriedigend. Daher legte es folgende Frage dem EuGH (Europäischer Gerichtshof) zur Entscheidung vor (Stichwort „Steckverbinder“; Aktenzeichen 21 O 16782/20):

 

„Ist es mit Artikel 9 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48/EG vereinbar, dass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes letztinstanzlich zuständige Oberlandesgerichte den Erlass einstweiliger Maßnahmen wegen der Verletzung von Patenten grundsätzlich verweigern, wenn das Streitpatent kein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat?“

 

Um gegen Produktpiraterie (also gegen Nachahmer, die eine technische Lehre verwirklichen und patentgeschützte Produkte oder Verfahren nutzen und/oder vermarkten, ohne dass eine Erlaubnis seitens des Patentinhabers vorliegt) vorzugehen, sieht die sogenannte „Enforcement-Richtlinie“ 2004/48/EG („Durchsetzungsrichtlinie“) vor, dass für den Schutz Geistigen Eigentums (also auch patentgeschützte Nutzungen) Erfinder in die Lage versetzen werden sollen, einen rechtmäßigen Gewinn aus ihren Erfindungen zu ziehen (Erwägungsgrund (2)). In Erwägungsgrund (22) heißt es:

 

„Ferner sind einstweilige Maßnahmen unabdingbar, die unter Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und der Verhältnismäßigkeit der einstweiligen Maßnahme mit Blick auf die besonderen Umstände des Einzelfalles, sowie vorbehaltlich der Sicherheiten, die erforderlich sind, um dem Antragsgegner im Falle eines ungerechtfertigten Antrags den entstandenen Schaden und etwaige Unkosten zu ersetzen, die unverzügliche Beendigung der Verletzung ermöglichen, ohne dass eine Entscheidung in der Sache abgewartet werden muss. Diese Maßnahmen sind vor allem dann gerechtfertigt, wenn jegliche Verzögerung nachweislich einen nicht wieder gutzumachenden Schaden für den Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums mit sich bringen würde.“

 

In Art. 9 der Richtlinie wird verlangt, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag des Verletzten die Möglichkeit haben, gegen den angeblichen Verletzer eine einstweilige Maßnahme anzuordnen. In Deutschland ist dies über § 58 Patentgesetz (PatG: „(m)it der Veröffentlichung [des erteilten Patentes] im Patentblatt treten die gesetzlichen Wirkungen des Patents ein“; dies entspricht Art. 64(1) des Europäischen Patentübereinkommens), § 139 Patentgesetz (Anspruch, einen Verletzer auf Unterlassung in Anspruch zu nehmen) und §§ 935 und 940 der Zivilprozessordnung (drohende Nachteile für Rechtsinhaber) geregelt.

 

Das LG München I sieht keine Grundlage in den einschlägigen deutschen Gesetzesmaterialien für das Erfordernis einer vorherigen Entscheidung in einem Nichtigkeits- oder Einspruchsverfahren. Nach Art. 9 Abs. 1 der Durchsetzungsrichtlinie solle:

 

„sichergestellt sein, dass gegen einen Patentverletzer eine einstweilige Maßnahme angeordnet werden kann, um die Fortsetzung einer Patentverletzung zu untersagen. Das ist aber nach der mit diesem Vorlagebeschluss zur Überprüfung gestellten Rechtsprechung nicht möglich. Denn ein – wie im vorliegenden Fall – gerade erst erteiltes Patent kann ein Rechtsbestandsverfahren noch gar nicht durchlaufen haben (ein Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren ist erst nach Patenterteilung möglich). Auch viele Patente, deren Erteilung bereits lange zurückliegt, haben oftmals im Zeitpunkt der Beantragung einer einstweiligen Maßnahme noch kein solches Rechtsbestandsverfahren durchlaufen. Der Patentinhaber hat naturgemäß auch gar keinen Einfluss darauf, ob sein Patent nach Erteilung mit einem Einspruch oder einer Nichtigkeitsklage angegriffen wird. Eine einstweilige Maßnahme kann dann trotz eines akuten Verletzungssachverhaltes grundsätzlich erst ergehen, wenn ein (durch einen Dritten initiiertes) Rechtsbestandsver¬fahren erstinstanzlich abgeschlossen ist, was viele Monate oder gar Jahre dauern kann. Die Fortsetzung der Patentverletzung muss in dieser Zeit nach der zur Überprüfung gestellten Rechtsprechung hingenommen werden, obwohl ein Patent – anders als andere Rechte des geistigen Eigentums – von Gesetzes wegen einer eingehenden fachlichen Prüfung unterzogen wird, bevor es erteilt und im Rechtsverkehr geltend gemacht werden kann.“

 

Es gab zwar gewisse Ausnahmen in der bisherigen Rechtsprechung von den Instanzgerichten. Hierzu gehörten beispielsweise Fälle, bei denen der mutmaßliche Verletzer bereits während des Erteilungsverfahrens durch Einwendungen Dritter praktisch am Erteilungsverfahren beteiligt gewesen ist, ein Verfügungsschutzrecht allgemein als schutzfähig angesehen wurde und auch Erteilungen in anderen Ländern erfolgt sind, sich Einwendungen gegen den Rechtsbestand eines Verfügungsschutzrechtes bereits bei summarischer Prüfung als haltlos erwiesen, oder es dem Antragsteller aufgrund außergewöhnlicher Umstände, z.B. Benutzung auf einer Messe durch ein ausländisches Unternehmen, unzumutbar war, den Ausgang eines Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten.

 

Diese Ausnahmen griffen aber im vorliegenden Fall (es geht um EP 2 832 536) auch nicht durch, da sie sehr restriktiv angewendet würden.

 

Insgesamt sah sich das Gericht daher gezwungen, weil es auch gegen die eigene Überzeugung keine Einstweilige Verfügung erlassen könne, die Vorlagefrage an den EuGH zu stellen.

 

Der EuGH wird vermutlich auch die Situation in anderen EU-Mitgliedstaaten (beispielsweise Frankreich und den Niederlanden) überprüfen. Siehe auch den Kommentar

 

Wir sind gespannt, ob der EuGH zugunsten der Durchsetzung von Patenten mittels Einstweiliger Verfügungen entscheidet.

 

Es sei noch angemerkt, dass auch GATT/Trips in Art. 44 (in der Vorlageentscheidung nicht erwähnt, da die anderen Rechtsgrundlagen vorgehen) ausdrücklich einstweilige Verfahren vorsieht.

 

Wir können Sie beraten und unterstützen, wenn es um die Rechtsbeständigkeit Ihrer eigenen Patente und deren Durchsetzung geht – auch bei Anträgen auf Erlass Einstweiliger Verfügungen.

 

Umgekehrt können wir Sie unterstützen, wenn Sie Anlass zur Befürchtung haben, Patente Dritter zu verletzen, oder sich mittels Hinterlegung von Schutzschriften gegenüber Wettbewerbern absichern müssen.

 

Bei Fragen wenden Sie sich gern an Unser Team

 

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