Datum: 15 Mai 2020
Im Hinblick auf die Einführung der Regel 28 (2) EPÜ im Juni 2017, die am 1. Juli 2017 in Kraft trat, entschied die Große Beschwerdekammer wie folgt:
"Unter Berücksichtigung der Entwicklungen nach den Entscheidungen G 2/12 und G 2/13 der Großen Beschwerdekammer wirkt sich die Ausnahme von der Patentierbarkeit im Wesentlichen biologischer Verfahren zur Erzeugung von Pflanzen oder Tieren in Artikel 53 b) EPÜ negativ auf die Zulässigkeit von Produktansprüchen und Produkt-für-Prozess-Ansprüchen an Pflanzen, Pflanzenmaterial oder Tiere aus, wenn das beanspruchte Erzeugnis ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen wird oder wenn die beanspruchten Verfahrensmerkmale ein im Wesentlichen biologisches Verfahren definieren.
Dieser negative Effekt gilt nicht für europäische Patente, die vor dem 1. Juli 2017 erteilt wurden, sowie für europäische Patentanmeldungen, die vor diesem Zeitpunkt eingereicht wurden und noch anhängig sind."
Die Entscheidung kann hier nachgelesen oder heruntergeladen werden.
Regel 28 Absatz 2 lautet wie folgt:
(2) Nach Artikel 53 Buchstabe b) werden europäische Patente nicht erteilt für ausschließlich durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnene Pflanzen oder Tiere.
Artikel 53 Buchstabe b) lautet wie folgt:
"Europäische Patente werden nicht erteilt für: ...
b) Pflanzensorten oder Tierrassen sowie im Wesentlichen biologische Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren. Dies gilt nicht für mikrobiologische Verfahren und die mithilfe dieser Verfahren gewonnenen Erzeugnisse;"
Die Entscheidung akzeptiert somit eine Auslegung von Artikel 53 Buchstabe b), die vor der Einführung der neuen Regel 28 (2) EPÜ von den älteren Entscheidungen G 2/07 und G1/08 ( "Tomaten" und "Broccoli") sowie G 2/12 und G 2/13 ("Tomaten II" und "Broccoli II") nicht berücksichtigt wurde.
In Bezug auf die Entscheidung nach XX.: "Eine besondere Auslegung, die einer gesetzlichen Bestimmung gegeben wurde, kann niemals als in Stein gemeißelt angesehen werden, weil sich die Bedeutung der Bestimmung im Laufe der Zeit ändern oder entwickeln kann". Und unter XXIV: " ... der Große Ausschuss kann die Entscheidung des Verwaltungsrats, einen neuen Absatz 2 in Regel 28 EPÜ einzuführen, nicht ignorieren."
Die Entscheidung musste daher Art. 53 b) EPÜ in Abweichung von Entscheidungen neu interpretieren, die vor dem Inkrafttreten von Regel 28 Absatz 2 ergangen sind.
Die Große Beschwerdekammer prüfte auch verschiedene Nebenaspekte, darunter die fehlende Bindung der Europäischen Patentorganisation an das Unionsrecht der Europäischen Union dass unter Berücksichtigung der besonderen Strukturorganisation und Verfassung der Europäischen Patentorganisation, vgl. XXV.3, "es keine Grundlage gibt für die amicus curiae-Stellungnahme, wonach die Annahme von Regel 28 (2) EPÜ durch den Verwaltungsrat gegen die Doktrin der Gewaltenteilung und die "Essentiality"-Theorie verstoßen hat, die in Deutschland als "Wesentlichkeitsprinzip" bekannt ist, wonach alle gesetzgeberischen Entscheidungen von grundlegender oder wesentlicher Bedeutung dem Parlament vorbehalten bleiben müssen."
Darüber hinaus stellt die Große Beschwerdekammer nach XXIX fest, dass die Entscheidung keine rückwirkende Wirkung auf europäische Patente oder europäische Patentanmeldungen hat, die seit vor dem 1. Juli 2017 anhängig sind und Produkt-für-Verarbeitung- oder Produktansprüche auf Pflanzen, Pflanzenteile oder Tiere enthalten, die durch ein im Wesentlichen biologisches Verfahren gewonnen werden.
Die Entscheidung ist für viele beim EPA anhängige Fragen wichtig: Gegen Entscheidungen auf der Grundlage der Regel 28 (2) EPÜ sind achtzehn Rechtsmittel anhängig, und etwa 250 Prüfungsfälle und etwa sieben Einspruchsfälle sind anhängig, in denen die Anwendung von Regel 28 Absatz 2 entscheidend sein könnte oder werden könnte.
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