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Anmerkungen

Doppelpatentierungsverbot für identische Europäische Patente – Beschluss der Großen Beschwerdekammer

Datum: 6 Juli 2021

In einer Entscheidung der Großen Beschwerdekammer vom 22. Juni 2021 – G4/19, siehe G 4 19 EBA decision wurde entschieden, dass es nicht möglich ist, dass zwei europäische Patente auch bei gleichem effektivem Anmeldetag für den selben Anmelder mit identischen Ansprüchen erteilt werden. 

 

Es wurde entschieden, dass eine Europäische Patentanmeldung gemäß Artikeln 97(2) und 125 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) im Erteilungsverfahren zurückgewiesen werden kann, wenn sie denselben Gegenstand wie ein Europäisches Patent beansprucht, das für denselben Anmelder erteilt (also 100 % identische Ansprüche) worden ist und keinen Stand der Technik gemäß Artikeln 54(2) und (3) EPÜ darstellt. Eine entsprechende Interpretation wurde auf einen Mehrheits-Beschluss der beteiligten Nationen im Zuge der Vorbereitung der Diplomatischen Konferenz zum Verabschieden des EPÜ gegründet, das heißt, unter Bezugnahme auf Gründungsprotokolle außerhalb des eigentlichen Europäischen Patentübereinkommens und unter Berücksichtigung der im Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge dargelegten Auslegungsmethoden.

 

Es wurde weiter entschieden, dass die Zurückweisung unabhängig davon erfolgen kann, ob eine europäische Patentanmeldung 

  1. am selben Tag eingereicht wurde, 

  2. eine frühere Anmeldung oder eine Teilanmeldung (Artikel 76(1) EPÜ) darstellt, oder

  3. dieselbe Priorität (Art. 88 EPÜ) beansprucht, 

 

jeweils bezogen auf eine Europäische Patentanmeldung, die zu einem bereits erteilten Europäischen Patent geführt hat.

 

Die Frage der fehlenden Doppelpatentierbarkeit ist nicht bloß eine rein akademische Angelegenheit: Wird eine europäische Patentanmeldung A als Prioritätsanmeldung an einem bestimmten Anmeldetag eingereicht und dann innerhalb der Prioritätsfrist von 12 Monaten eine ebenfalls europäische Nachanmeldung B unter Beanspruchung der (sogenannten inneren) Priorität der Anmeldung A eingereicht, hat ein Patent aus Anmeldung B ein um 1 Jahr längere Laufzeit als Patent A. Denn die Laufzeit beträgt dann 20 Jahre ab dem Anmeldetag von Anmeldung B – oder, unter Einschluss der bis zu 12 Monate ab der Priorität bis zu 21 Jahre ab der Priorität der Anmeldung A. Bei Patenten mit hoher Wertschöpfung kann dieses zusätzliche Jahr für einen Patentinhaber somit durchaus eine Rolle spielen, um ohne Konkurrenz bis einem weiteren Jahr Marktexklusivität zu genießen und so weiter alleine den Markt mit entsprechenden Profiten zu haben. Gerade im Falle einer Anmeldung A mit früherer Priorität ist wegen des früheren Beginns des Prüfungsverfahrens regelmäßig zu erwarten, dass diese früher erteilt wird als eine spätere Anmeldung B.

 

Die Große Beschwerdekammer hat damit ein auf diese Weise denkbares Rechtschutzbedürfnis aufgrund einer längeren Laufzeit nicht als Grundlage für einen abweichenden Beschluss anerkannt. Ein solches Rechtsschutzbedürfnis ist somit ausdrücklich nicht als Grund für ein Abweichen vom Verbot der identischen Doppelpatentierung anerkannt worden, in Abgrenzung zu einer früheren Entscheidung einer Beschwerdekammer in T 1423/07.

 

Noch einige Anmerkungen unsererseits

 

Unberührt von der fehlenden Doppelpatentierbarkeit bleiben Anmeldungen, die von einem anderen Anmelder am selben Anmeldetag wie ein erteiltes europäisches Patent eingereicht wurden. Mit anderen Worten: Hier ist (auch wenn absolute Identität der Ansprüche vorläge, was eher unwahrscheinlich ist) denkbar, dass zwei gleiche Patente für unterschiedliche Anmelder erteilt werden.

 

Unberührt bleiben Teilanmeldungen, deren Ansprüche sich von denen des zuerst erteilten Patentes unterscheiden (vgl. ein obiter dictum in früheren Entscheidungen G 1/05 und G 1/06, siehe EPO - G 0001/05 „Die Kammer erkennt an, dass der Grundsatz des Doppelpatentierungsverbots darauf basiert, dass der Anmelder kein legitimes Interesse an einem Verfahren hat, das zur Erteilung eines zweiten Patents für denselben Gegenstand führt, für den er bereits ein Patent besitzt“, Punkt 13.4, erster Satz in G1/05 und G1/06). Inwieweit Probleme entstehen, sofern dort doch auch beispielsweise unabhängige Nebenansprüche enthalten sind, die identischen Umfang haben wie bereits erteilte Ansprüche, ist nicht ganz klar, doch sollte man diese wohl vermeiden oder anpassen, wenn amtsseitig Einwände gemacht werden.

 

Ebenfalls unberührt bleiben nationale Regelungen (Art.  EPÜ), welche ein mögliches Doppelpatentierungsverbot ermöglichen, wie in Artikel 139(3) EPÜ festgelegt. Für Deutschland wird ein Doppelschutzverbot durch ein Europäisches und ein deutsches Patent derselben Familie in Art. II § 8 des Gesetzes über internationale Patentübereinkommen geregelt, siehe Art II § 8 IntPatÜbkG.

 

Ein (in der Entscheidung nicht angedeuteter) Ausweg aus dem Problem könnte möglicherweise eröffnet werden, wenn gemäß Artikeln 105a und 105b EPÜ Antrag auf Widerruf des bereits erteilten Patents gestellt wird (dies wirkt ex tunc, das heißt, das Patent gilt von Anfang an als nicht erteilt).

 

Es ist möglich, identische Anmeldungen (z.B. zwei Teilanmeldungen jeweils mit dem ursprünglichen Anspruchssatz) einzureichen, doch müssen diese während des Erteilungsverfahrens so geändert werden, dass keine identischen Patente resultieren.

  

Was wir für Sie tun können

 

Der Fall identischer Ansprüche dürfte im Regelfall einfach vermeidbar sein – wir beraten Sie gerne, wie in geeigneter Weise Erteilungsverfahren aufeinander abgestimmt werden können. 

 

Bei Fragen wenden Sie sich gern an Unser Team

 

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