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Anmerkungen

Der Ruf nach Freigabe von Impfstoffpatenten ist derzeit vor allem eine populistische Maßnahme

Datum: 11 Mai 2021

Interview: Freiburger Patentexperte spricht über Sinn und Unsinn von Freigaben / Indien könnte sich so ins eigene Fleisch schneiden

 

Freiburg. Wird die Corona-Krise weltweit schneller überwunden, wenn man Impfstoffhersteller zur Freigabe ihrer Patente zwingt? Über diese Frage ist ein internationaler politischer Disput ausgebrochen. Die Bundesregierung hat sich gegen die Pläne von US-Präsident Joe Biden gestellt, die Vakzin-Patente freizugeben. Die Sinnhaftigkeit dahinter sieht der Freiburger Patentanwalt und Biochemiker Manuel Kunst, der bei der international renommierten Kanzlei Maucher und Jenkins als Spezialist für Pharma-Patente tätig ist, allerdings eher weniger gegeben.

 

Herr Kunst, was genau ist eigentlich ein Patent, und was ist der Sinn davon?

 

Ein Patent gibt demjenigen, der es beantragt oder bereits erhalten hat, ein sogenanntes Ausschließungsrecht. Er kann andere von dem, was er patentiert hat, ausschließen und seine Erfindung nach der Zulassung alleine vermarkten. Zumindest wenn ein Nachahmer keine Lizenz hat. In der Pharmaindustrie gilt so ein Recht in der Regel 20 Jahre, oft verlängerbar bis 25 Jahre. Das ist lang, weil ja normalerweise auch die Zulassungsverfahren für Medikamente 10 bis 12 Jahre dauern.

 

Haben die Impfstoffhersteller denn eigentlich schon ein Patent auf ihre Produkte?

 

18 Monate ab Einreichung der Patentanmeldung werden Patentanmeldungen veröffentlicht. Sie sind dann noch nicht erteilte Patente. Für Anmeldungen auf Anwendungen spezifisch gegen Covid-19 sind also erst im Juli oder August Publikationen zu erwarten. Ab dann wird man sehen, wer alles Patente auf Impfstoffe angemeldet hat. Vielleicht schneiden sich Länder wie Indien ins eigene Fleisch, wenn sie nun eine Patentfreigabe fordern. Inder haben ja selbst auch Impfstoffe entwickelt. Weltweit arbeiten rund 250 Unternehmen an der Entwicklung on Corona-Impfstoffen und Covid-19- Medikamenten. Man wird erst mittel- und langfristig sehen, wie die sich alle auf dem Markt behaupten können.

 

Ohne die Freigabe von Impfstoff-Patenten kann in ärmeren Regionen der Welt angeblich nicht genug geimpft werden kann, heißt es. Ist das so?

 

Das ist ein Lamento, das immer wieder angestimmt wird. Es ist wundervoll, wenn man die Ergebnisse anderer imitieren kann, ohne die Entwicklungsarbeit leisten zu müssen.


Deshalb gibt es ja so viel Produktpiraterie in der Welt. Und es ist natürlich hilfreich für potenzielle Nachahmer, wenn sie ein Patent in die Hände gelegt bekommen, weil da ja die Rezeptur eines Medikaments drinsteht. Theoretisch könnte ein Unternehmen seine Wirkstoffe ja auch ohne Patent auf den Markt bringen. Mit geheimen Inhaltsstoffen. Es würde dann dauern, bis man ein Nachahmerprodukt zur Hand hat. Nur: Man muss die Produkte ja auch herstellen können. Es ist ja selbst den Pharma-Giganten wie Pfizer zu Beginn nicht leicht gefallen, die erforderlichen Kapazitäten und Strukturen dafür bereitzustellen.

 

Kann man jemandem ein Patent einfach so wegnehmen per Gesetz?

 

Es gibt dafür nationale Gesetze im Patentrecht und internationale Abkommen wie das TRIPS-Abkommen der Welthandelsorganisation WTO, das ärmeren Ländern den Zugang zu Medikamenten erleichtert: Wird eine Firma um eine Patentlizenz für ein Produkt angefragt und reagiert nicht, dann gibt es beispielsweise in öffentlichen Notlagen die Möglichkeit von Zwangslizenzen. Insofern ist der Ruf nach der Patentfreigabe derzeit vor allem eine populistische Maßnahme, die dem Thema so eine Art pseudosozialen Anstrich verpassen soll. Ich halte es aber nicht für eine wirksame Maßnahme, um die Pandemie schneller zu bekämpfen. Man muss sehen: Die Impfstoffentwicklung war sehr schnell und erfolgreich, aber auch sehr kompliziert. Pharmazeutische Entwicklungen sind in der Regel sehr langwierig. Der aktuelle Erfolg und das Tempo bei den mRNA-basierten Corona-Impfstoffen waren nur möglich, weil die Unternehmen bereits an neuen Impfstoffen in anderen Zusammenhängen, zum Beispiel bei Impfungen gegen Krebs, geforscht und gearbeitet haben. Da jetzt zu sagen, dass jeder das nachmachen kann und soll, finde ich fragwürdig. Aber wenn man hier eine Ausnahme macht: Wo liegen dann zukünftig die Grenzen für eine Aufhebung des Patentschutzes?

 

Haben die Impfstoffhersteller ihre Lizenzen denn verweigert?

 

Das ist noch nicht bekannt geworden. Aber es ist natürlich auch innovationsfeindlich und demotivierend, wenn man als Unternehmen fürchten muss, dass man Entwicklungen willkürlich weggenommen bekommt, indem der Patentschutz plötzlich ausgesetzt werden soll.

 

Das heißt, die Firmen würden die Lust an der Forschung verlieren, wenn sie beispielsweise bei der nächsten Pandemiebekämpfung mit einem anderen Erreger einen zeitweisen Patentverlust fürchten müssten?

 

Naja, die Unternehmen stehen ja trotzdem im Wettbewerb. Derjenige, der einen Wirkstoff als Erster entwickelt und auf den Markt bringen kann, hat zwar die meiste Aufmerksamkeit. Dennoch wäre die Motivation sicher geringer, sich bei der Entwicklung von künftigen Impfstoffen weit aus dem Fenster zu lehnen, wenn der Patentschutz nicht gewährleistet wäre.


Die Fragen stellte Ralf Deckert.

 

Dieser Artikel wurde erstmals im veröffentlicht Schwarzwälder Bote, Nr. 105, 8. Mai 2021.

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