Datum: 7 September 2023
Der Schutzbereich eines Patents und der Patentanmeldung wird gemäß § 14 PatG durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen. Das bedeutet, dass die fallspezifische Bedeutung der Anspruchsmerkmale unter Berücksichtigung der allgemeinen Beschreibung, spezifischen Ausführungsbeispielen und den Figuren ermittelt werden muss.
Das OLG Düsseldorf hatte über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts zu entscheiden, mit dem die Beklagte aus einem europäischen Patent wegen Patentverletzung verurteilt worden war. Das Klagepatent enthielt einen unabhängigen Verfahrensanspruch, an den sich ein abhängiger Anspruch anreihte, der ausschließlich besondere Bedingungen benannte, unter denen das Verfahren durchzuführen sei.
Grundsätzlich sind die Merkmale eines unabhängigen Anspruchs maßgeblich für die Bestimmung der Grenzen des Schutzbereichs eines Patents. Das Gericht wich im vorliegenden Fall von dieser Praxis ab und erkannte eine neue Art von Unteransprüchen, die in Zusammenschau mit den Merkmalen des unabhängigen Anspruchs eine begrenzende Wirkung des Schutzbereichs zur Folge haben.
Zum besseren Verständnis ist es sinnvoll, zunächst eine Untergliederung der verschiedenen Arten von abhängigen Ansprüchen vorzunehmen:
Bei dieser Art von Unteransprüchen liegt es nahe, dass der Hauptanspruch das einschränkende Merkmal nicht enthält und daher nicht auf die Spezifizierung beschränkt werden kann, sondern einen „größeren“ Schutzbereich hat. Der Unteranspruch ist in diesem Fall eine bevorzugte Variante der Erfindung und eine spezielle Ausführungsform des allgemeineren Hauptanspruchs. Der Unteranspruch spezifiziert in diesem Fall ein bestimmtes Merkmal des Hauptanspruchs.
Somit wird der Schutzbereich des unabhängigen Anspruchs nicht durch die Merkmale des abhängigen Anspruchs beschränkt.
Eine andere Art von Unteransprüchen besteht darin, dass die zusätzlichen Merkmale des Unteranspruchs sich nicht direkt auf Merkmale des unabhängigen Anspruchs beziehen und die unabhängige Lösung daher auch nicht konkreter werden lassen. Vielmehr handelt es sich bei den weiteren Merkmalen der abhängigen Ansprüche in gewisser Weise um einen zusätzlichen Lösungsansatz, der nichts mit dem Gegenstand des Hauptanspruchs zu tun hat. Diese eigenständigen technischen Anweisungen können für das Verständnis des Hauptanspruchs daher auch nicht ohne Weiteres herangezogen werden. Diese Fallkonstellation kann in der Regel darin erkannt werden, wenn durch das Merkmal des abhängigen Anspruchs der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs nicht weitergebildet wird bzw. durch die weiteren Merkmale sogar eine neue Lösung einer anderen Aufgabe bereitgestellt wird.
Auch bei dieser Art von abhängigen Ansprüchen kann somit keine beschränkende Wirkung auf den Schutzbereich des unabhängigen Anspruchs angenommen werden.
Das Gericht hat in der vorliegenden Entscheidung eine dritte Art von Unteransprüchen herausgearbeitet, bei der der Unteranspruch weder den Hauptanspruch spezifiziert noch ein zusätzliches Merkmal hinzufügt, sondern nur die Merkmale des Hauptanspruchs weiter beschreibt. Im vorliegenden Fall enthielt Anspruch 12 nach Auffassung des OLG Düsseldorf keine weiteren speziellen Lösungsmerkmale, sondern stellte nur eine praktisch relevante Betriebssituation für das Verfahren gemäß Anspruch 11 dar. Dies führte bei der Auslegung des Schutzbereichs des unabhängigen Anspruchs 11 durch eine Beschränkung, die inhaltlich an den abhängigen Anspruch 12 ansetzte.
Aufgrund der veränderten beschränkenden Auslegung des unabhängigen Verfahrensanspruchs kam es schließlich zu einer Aufhebung des Urteils des LGs und zur Abweisung der Verletzungsklage.
Schützt der Hauptanspruch ein Verfahren und benennt den Unteranspruch – abgesehen von seinem Rückbezug auf den Hauptanspruch – ausschließlich besondere Bedingungen, unter denen die Verfahrensdurchführung bevorzugt stattfindet, ohne dass dem Hauptanspruch gleichzeitig weitere Lösungsmerkmale hinzugefügt werden, so kann aus dem Unteranspruch nicht geschlossen werden, dass die speziellen Verfahrensbedingungen rein fakultativ sind, deshalb von der technischen Lehre des Hauptanspruchs überhaupt nicht bewältigt werden müssen, weswegen ein Verständnis seiner Anspruchsmerkmale geboten ist, das die besagten Verfahrensbedingungen außer Acht lässt. (Leitsatz des Gerichts)