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Anmerkungen

Orphan Drugs – Marktexklusivität außerhalb des Patentschutzes

Datum: 26 Oktober 2023

 

Nicht nur durch Patente können Arzneimittel geschützt werden. Bei Erkrankungen für eine kleine Zahl von Erkrankten (seltene Leiden/Erkrankungen) ist auch ein Schutz als sogenannte „Orphan Drugs“ möglich. Hierbei handelt es sich um Arzneimittel zur Prävention, Diagnose und Behandlung von seltenen Erkrankungen.

 

In der EU können Arzneimittel für schwere oder zu chronischer Behinderung führende Erkrankungen, die nicht mehr als 5 von 10.000 Personen betreffen, in einem freiwilligen Verfahren beim „Committee for Orphan Medicinal Products (COMP) als „orphan“ ausgewiesen werden. Siehe BfArM In anderen Ländern, z.B. den USA, Japan und Australien, gibt es vergleichbare Regelungen.

 

Dies ermöglicht einen Schutz bzw. eine Exklusivität auch in Fällen mit einem kleinen Markt und daher geringen Umsatz, der während eines Patentschutzes nicht interessant wäre. Die Zulassung auch von Orphan Drugs erfolgt zentral über die europäische Zulassungsbehörde (Europäische Arzneimittel-Agentur, EMA) und ermöglicht u.a. Gebührenreduktionen bei wissenschaftlicher Beratung und dem regulatorischen Verfahren.

 

Eine Übersicht für Arzneimittel mit diesem Status in der EU kann dem Union Register of orphan medicinal products for human use der Europäischen Kommission entnommen werden.

 

Hier können mitunter auch ansonsten breiter anwendbare Medikamente für spezielle Zwecke (Indikationen) registriert sein. Willkürlich ausgewählte Beispiele wären der monoklonale Antikörper Rituximab (verwendet u.a. in der Krebsimmuntherapie und gegen Autoimmunerkrankungen) zur Behandlung von primärer membranöse Nephropathie oder die noch in klinischen Versuchen geprüfte Behandlung von Amyotropher Lateralsklerose mit dem ursprünglich als Mittel gegen Tumoren gedachten niedermolekularen Tyrosinkinasehemmer Sotuletinib.

 

Beispiele für Verwendung bei seltenen Erkrankungen wären auch etwa die Behandlung von Einschlusskörpermyositis mit Ulviprubart, die Behandlung von Gliomen mit CD34+ hämatopoietischen Vorläufer- und Stammzellen, die mit einem lentiviralen Vektor transduziert sind, der das Interferon α 2-Gen codiert, oder als Diagnostikum Iod(124I) Evuzamitid bei der Diagnose von AL-Amyloidose, vollkommen willkürlich ausgewählt, um die Spannbreite von einfachen organischen Molekülen bis hin zu zellulären Therapeutika und Diagnostika zu illustrieren.

 

Der Status als „Orphan Drug“ bedingt in der EU, dass 10 Jahre nach Erhalt der Marktzulassung nach einem vereinfachten Zulassungs­verfahren (die nach der Registrierung als „Orphan Drug“ erfolgt) eine Exklusivität für den Anmelder der „Orphan Drug“ besteht – also eine Exklusivität analog der durch ein Patent - für die eingetragene Indikation. Im Falle von pädiatrischen Indikationen kann die Exklusivität um weitere zwei Jahre verlängert werden.

 

Ziel der „Market Exclusivity“ ist, zur Entwicklung von Medikamenten gegen seltene Erkrankungen zu ermutigen, indem diese Medikamente – für die geschützte Indikation - vor Konkurrenz mit (auch ähnlichen und „eng verwandten“) Medikamenten mit ähnlichen Indikationen geschützt werden, die dann während der Exklusivitätsperiode nicht vermarktet werden können. Ein Kritikpunkt ist hier, dass die Definition von eng verwandten Medikamenten dazu führen kann, dass Dritte keine Entwicklung von eigenen Medikamenten vornehmen könnten, siehe hier.

 

Ein Urteil des Landgerichts München I vom 4. August 2023 (Az. 21 O 6235/23) bestätigte im Wesentlichen eine zuvor erlassene einstweilige Verfügung wegen Verletzung des Rechts auf Marktexklusivität. Die vom Inhaber des Orphan Drug-Marktexklusivitätsrechts (Kläger; einem Pharmaunternehmen) beklagten Pharmaunternehmen (Beklagte) wurden zur Unterlassung des Vertriebs ihres Medikamentes verurteilt. Die Exklusivität betraf die Verwendung von „Eculizumab“, einem humanisierten monoklonalen Antikörper, durch ein Biosimilar dieses Antikörpers.

 

Das Produkt war für vier Indikationen (paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH), das atypische Hämolytisch-Urämische Syndrom (aHUS), refraktäre generalisierte Myasthenia gravis (gMG) und Neuromyelits-Optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD) als Orphan Drug eingetragen. Das Marktexklusivitätsrecht für PNH war bereits abgelaufen. Die Beklagten (sie hatten bereits nach der einstweiligen Verfügung ihr Produkt vom Markt genommen) wurden dennoch verpflichtet, auch die Vermarktung in den übrigen drei Indikationen zu unterlassen. Die Kammer entschied, dass die Verfügungsbeklagten als sogenannte mittelbare Handlungsstörer beispielsweise durch Empfehlungsschreiben einen adäquat-kausalen Beitrag für eine indikationsübergreifende Verwendung ihres Medikaments auch in den drei noch für die Unternehmensgruppe der Klägerin geschützten Indikationen gesetzt haben. Die von der Verfügungsklägerin glaubhaft gemachte Begehungsgefahr sei durch die Verfügungsbeklagten bis zum maßgeblichen Schluss der mündlichen Verhandlung nicht ausgeräumt worden.

 

Siehe LG München I, Pressemitteilung vom 04.08.2023

 

Die Kammer bestätigte auch, dass die Klägerin einen zivilrechtlichen Verbotsanspruch habe, es gehe in der einschlägigen Verordnung 141/2000/EG nicht nur um eine Zulassung, sondern dies beinhalte auch die Möglichkeit für den Inhaber, individuell gegen Umgehungen seines Rechts vorzugehen.

 

Gerne beraten wir Sie auch im Falle von Medikamenten und Diagnostika gegen seltene Leiden über diese Alternative zum Patentschutz.

 

Weitere Informationen und Kontaktmöglichkeiten zum Autor:

Dr. Manuel Kunst

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