Datum: 9 September 2024
Authors: Fabian Bakus, Peter Kaiser
Zu der Frage, ab wann eine Werbung mit dem Begriff „klimaneutral“ irreführend iSv § 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 UWG ist.
Der Süßwarenhersteller Katjes hatte in der „Lebensmittelzeitung“ vom 19. Februar 2021 mit der Aussage „Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral“ geworben. Diese Werbung enthielt unter anderem auch ein Label mit den Wörtern „Klimaneutral“ und „Produkt“, sowie den weiteren Zusatz "Produkt climatepartner.com". Unter diesem Link, sowie einem abgedruckten QR-Code, konnte man Informationen über die behauptete Klimaneutralität einsehen. Ein positiv wirkendes Signal in einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Klimaschutz verstärkt in den öffentlichen Fokus rücken. Dagegen klagte die Wettbewerbszentrale, da sie in den Angaben eine Irreführung der Verbraucher, sowie ein Vorenthalten von für die geschäftliche Entscheidung relevanten Informationen sah. Der durch die Anzeige angesprochene Verkehr nehme an, dass die Herstellung der Produkte emissionsfrei verlaufe, während die in der Anzeige behauptete Klimaneutralität durch Kompensationszahlungen erreicht werde.
Das LG Kleve sah dies anders und wies die Klage ab (LG Kleve, Urteil vom 22. Juni 2022 – 8 O 44/21). Auch die Berufung der Klägerin vor dem OLG Düsseldorf blieb erfolglos (OLG Düsseldorf, WRP 2023, 1123). Mit der zugelassenen Revision beschäftigte sich nun der Bundesgerichtshof (BGH), der die ganze Sache anders bewertete.
Wann ist die Werbung mit Umweltschutzbegriffen, wie „klimaneutral“ zulässig und wann wird dadurch sog. „Greenwashing“ betrieben, also der Verbraucher in die Irre geführt?
§ 5 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 UWG
In seinen Leitsätzen stellt der Senat klar, dass für die Werbung mit Umweltschutzbegriffen besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussagen gestellt werden müssten, die den Anforderungen an die gesundheitsbezogene Werbung gleichkommen (vgl. unter anderem BGH, Urteil vom 20. Oktober 1988 – I ZR 219/87, BGHZ 105, 277– Umweltengel). Infolge der allgemeinen Anerkennung der Umwelt als eines wertvollen und schutzbedürftigen Guts habe sich in der Gesellschaft ein verstärktes Umweltbewusstsein entwickelt mit dem Ergebnis, dass der Verkehr vielfach Waren und Leistungen bevorzugt, auf deren besondere Umweltverträglichkeit hingewiesen wird. Gefördert werde ein solches Kaufverhalten auch durch den Umstand, dass sich Werbemaßnahmen, die an den Umweltschutz anknüpfen, als besonders geeignet erweisen, emotionale Bereiche im Menschen anzusprechen, die von einer Besorgnis um die eigene Gesundheit bis zum Verantwortungsgefühl für spätere Generationen reicht.
Überdies seien die beworbenen Produkte regelmäßig nicht insgesamt und nicht in jeder Beziehung, sondern meist nur in Teilbereichen mehr oder weniger umweltschonend als andere. Auch könne man in den meisten Fällen davon ausgehen, dass beim breiten Publikum nur ein geringer sachlicher Wissenstand über die naturwissenschaftlichen Zusammenhänge und Wechselwirkungen bestehe. Hinzukommt laut BGH der Umstand, dass nicht selten Unklarheiten über die Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe bestehen – wie etwa „umweltfreundlich, „umweltverträglich“, „umweltschonend“ oder „bio“.
Aus diesen Umständen folge, dass im Bereich der umweltbezogenen Werbung eine Irreführungsgefahr besonders groß ist und ein gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise über Bedeutung und Inhalt der verwendeten Begriffe und Zeichen besteht. Das Landgericht und das Oberlandesgericht gingen bei ihren Entscheidungen davon aus, dass ein Durchschnittsverbraucher wisse, dass die CO₂-Neutralität sowohl durch Kompensation als auch durch Reduktion erreicht werden könne.
Dieser Ansicht trat der BGH jetzt entgegen und hielt die vorinstanzlichen Beurteilungen zur Feststellung der Verkehrsanschauung für rechtlich fehlerhaft. Das Berufungsgericht habe den Verwendungskontext des Begriffs „klimaneutral“ in der streitgegenständlichen Anzeige unberücksichtigt gelassen. Somit wurde verkannt, dass die werbliche Angabe „klimaneutral“ nicht auf das Unternehmen der Beklagten, sondern ausdrücklich auf die Produktion der von ihr vertriebenen Produkte bezogen worden ist. Der Begriff „klimaneutral“ umfasse jedoch sowohl die Vermeidung von CO₂-Emissionen als auch die CO₂-Kompensation. Jedoch seien die Reduktion und die Kompensation von CO₂-Emissionen keine gleichwertigen Maßnahmen zur Herstellung von Klimaneutralität, denn bei der Reduktion gilt der Grundsatz des Vorrangs.
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH liegt eine Irreführung im Sinne von § 5 Abs. 1 UWG vor, wenn das Verständnis, das eine Angabe bei den Verkehrskreisen erweckt, an die sie sich richtet, mit den tatsächlichen Verhältnissen nicht übereinstimmt. Dabei kommt es darauf an, welchen Gesamteindruck die geschäftliche Handlung bei den angesprochenen Verkehrskreisen hervorruft (BGH, GRUR 2023, 1710 – Eigenlaborgewinn, mwN). Zur Ermittlung des Bedeutungsgehalts einer Angabe ist zu fragen, wie der durchschnittlich informierte und verständige Verbraucher eine Werbung bei einer der Situation angemessenen Aufmerksamkeit versteht. Dies ist von den jeweiligen Umständen der Wahrnehmung und von der Bedeutung abhängig, die die beworbene Ware oder Dienstleistung für ihn hat (BGH, Urteil vom 11. Oktober 2017 – I ZR 78/16, GRUR 2018, 431 = WRP 2018, 413 – Tiegelgröße, mwN).
Fehlen die im Einzelfall als geboten erscheinenden aufklärenden Hinweise in der Werbung selbst, oder sind sie nicht deutlich sichtbar herausgestellt, könne dies leicht zu falschen Vorstellungen über die Beschaffenheit der angebotenen Ware führen und dadurch die Kaufentscheidung beeinflussen.
Der BGH stellt im Fall Katjes klar, dass bei der Verwendung mehrdeutiger umweltbezogener Begriffe in der Werbung strenge Anforderungen gelten. Diese sind nur dann erfüllt, wenn die konkrete Bedeutung bereits in der Werbung selbst klar und eindeutig erläutert wird. Dies war hier nicht der Fall, da die notwendigen Informationen erst durch das Scannen eines QR-Codes oder den Besuch der Website zugänglich waren. Solche zusätzlichen eigenen Schritte des Verbrauchers sind nicht ausreichend. Weiter führt der BGH aus, dass die versprochene Klimaneutralität ausdrücklich einen Bezug zur Produktion der Waren von Katjes hat. Auch der Hinweis auf das Partnerunternehmen könnte nahelegen, dass dieses zur Reduktion der CO₂-Emissionen beiträgt und nicht nur zur Kompensation.
Laut des Senats ist die angegriffene Angabe mehrdeutig. Da die Beklagte in ihrer Werbung nicht klar und eindeutig erklärt hat, dass sie lediglich eine CO₂-Kompensation meint, versteht der Verkehr darunter auch das Versprechen einer CO₂-Vermeidung im Produktionsprozess. Diese Aussage entspricht somit nicht den Tatsachen, da unstreitig bei der Herstellung der Produkte CO₂ entsteht.
Die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit der Umweltwerbung mit Begriffen wie „klimaneutral“ oder klimafreundlich“ beschäftigte schon seit längerem mehrere Landes- und Oberlandesgerichte. Das Katjes-Urteil gibt, trotz verbliebender Unklarheiten, einen ersten Hinweis auf die künftige Richtlinie der Rechtsprechung des BGH zur Werbung mit Umweltschutzbegriffen wie „klimaneutral“. Es legt einen strengen Maßstab an solche Werbung, deren Ähnlichkeit mit den Anforderungen an die gesundheitsbezogene Werbung noch einmal deutlich hervorgehoben wurde. Damit setzt es ein deutliches Zeichen gegen Greenwashing und trägt den von den Experten in letzter Zeit massiv geäußerten Zweifeln an der Wirksamkeit von Kompensationsmaßnahmen für den effektiven Umweltschutz Rechnung. Aus Unternehmenssicht wird diese Entscheidung höchstwahrscheinlich als schmerzhaft gesehen werden, da künftig bei der Werbung mit Umweltschutzbegriffen doppelte Vorsicht geboten ist. Darüber hinaus stellen sich weitere rechtliche Fragen, wie z.B., ob die Angabe „klimaneutral“ irreführend oder intransparent ist. Außerdem wird diskutiert, ob der strenge Maßstab des BGH die Werbefreiheit zu stark einschränkt. Die Klärung dieser Punkte bleibt wohl künftigen Entscheidungen vorbehalten.
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